Studygrams – Fluch oder Segen?

Karin Distler · 

Wir alle kennen Studygrammer:innen und folgen manchen vielleicht sogar. Doch neben Ansporn und Motivation können diese auch eine gehörige Portion Selbstzweifel liefern.

Geordnete Schreibtische, adrette Pflänzchen und pastellbunte Lernunterlagen – an kaum einem Studierenden dürfte der Trend der sogenannten Studygram-Seiten auf Social Media gänzlich vorbeigegangen sein. Nicht wenige haben auch die ein oder andere abonniert. Auf diesen Seiten nehmen Studierende ihre Abonnent:innen mit in ihren Unialltag und zeigen ihre Lernroutinen. Für viele ist das Motivation und Ansporn, andere fühlen sich hingegen von der oft scheinbar perfekten Inszenierung des Studierens unter Druck gesetzt. Wir werfen einen Blick auf das Phänomen des virtuell geteilten Unilebens samt dessen Licht- und Schattenseiten.

Besonders häufig unter den Studygrammer:innen vertreten sind, entsprechend der Realität an den Universitäten, populäre Fächer wie BWL oder Jura, viele befassen sich auch mit der Examensvorbereitung. Bezüglich der Ausrichtung der Lerntagebücher gibt es viele verschiedene Ansätze. Manche lichten lediglich ihre Materialien ab und geben Lerntipps, andere nehmen ihre Follower:innen auch mit in ihr Alltagsleben und berichten von ihren Sorgen und Nöten im Studium, manchmal sogar ganz privat. Die Bandbreite reicht von Tipps zur anzuschaffenden Literatur bis hin zu ganzen Tagesplänen, die das Leben und Lernen optimieren sollen.

Gerade im aktuellen Zustand der überwiegend online stattfindenden Lehre kann es zweifelsohne hilfreich sein, im Netz ein Gefühl der Gemeinschaft zu erleben. Wenn die analogen Kommiliton:innen als mitreißender und beratender Faktor wegfallen, sinkt oftmals auch die Motivation bezüglich des Lernens und disziplinierten Arbeitens. Ein Studygram kann in dieser Situation Anhaltspunkte zur Tagesstruktur liefern und auch Vorbild sein. Besonders leicht fällt die Identifikation mit der Seite, wenn die dahinterstehende Person auch persönlich in Erscheinung tritt und somit die Anonymität aufbricht.

Manchmal schlägt diese anregende Wirkung jedoch ins Gegenteil um, wie es bei Social Media im Allgemeinen leider zunehmend zu beobachten ist. So manche Follower:in bekommt im Strudel des kräftezehrenden Studiums das Gefühl, nicht an das Idol bei Instagram heranzureichen, eigene Unzulänglichkeiten etwa beim Lernmanagement vor Augen geführt zu bekommen. Stuygrammer:innen hingegen stehen mit steigender Abonnentenzahl unter Druck, immer neue Inhalte liefern und hohen Ansprüchen genügen zu müssen, damit ihre Seite weiter floriert. So steigt die Versuchung, über kleine Misserfolge oder persönliche Schwierigkeiten auch mal hinwegzugehen, was eine Verzerrung der Außenwahrnehmung nach sich ziehen kann. In einer Zeit, in der Produktivität und Perfektion von entscheidender Bedeutung sind, erfordert das Teilen von Rückschlägen und Krisen viel Mut. Bleibt dies jedoch aus, entsteht bei den vom Studienalltag leidgeplagten Follower:innen ein gänzlich falsches Bild von dem, was der vermeintliche Durchschnittsstudierende alles leisten kann. Wie in allen Stationen des Lebens ist nämlich natürlich auch beim Studium nicht zu vernachlässigen, unter welcher psychischer und mentaler Belastung die Studierenden täglich stehen. Selbstverurteilung und Scham für als persönliches Versagen wahrgenommene „unproduktive“ Tage oder schlecht verlaufene Prüfungen sind sehr weit verbreitet. Der Vergleich mit der geschönten Realität auf Instagram birgt die Gefahr, diese Minderwertigkeitsgefühle noch zu verstärken.

Vorteilhafter ist es, das Handy öfter aus der Hand zu legen und sich insbesondere im universitären Zusammenhang auf die eigenen Stärken zu konzentrieren, anstatt sich zu sehr auf die Vergleichsgruppe der virtuellen Kommiliton:innen zu fokussieren. Es ist vollkommen in Ordnung, aus dem mittlerweile leider alltäglichen Leistungswettbewerb auszusteigen und eigene Maßstäbe zu setzen, auch wenn die Lieblingsstudygrammer:in täglich eine Stunde länger lernt oder jeden Morgen bereits um sechs Uhr frohgelaunt am Schreibtisch sitzt, während man selbst noch kaum die verklebten Augen aufbekommt. Viel wichtiger als das sehr verbreitete Perfektionsstreben ist und bleibt eben die eigene Gesundheit und Zufriedenheit, die sich bei vielen tief im Inneren ohnehin aus ganz anderen Dingen schöpft als daraus, wie produktiv der heutige Lerntag verlaufen ist.

Es bleibt abschließend zu sagen, dass das eigene Lernen eine sehr individuelle Angelegenheit ist, für die jede:r entsprechend der eigenen Stärken einen Weg finden muss. Lerntagebücher im Netz können Orientierung und Anregungen bieten. Dabei ist es als Studierender allerdings wichtig, gelegentlich zu reflektieren, ob die vorgestellten Lernmethoden und –routinen wirklich passend sind und sie eventuell abzuändern. Zudem sollte man im Hinterkopf behalten, dass die Inhalte auf Social Media vor der Veröffentlichung von der jeweiligen Studygrammer:in kritisch ausgewählt wurden und bei weitem nicht alle Facetten des Unialltags abdecken können. Daher sollte das Dargestellte genau wie alles andere in den sozialen Medien kritisch hinterfragt und nicht als Maßstab für die Bewertung der eigenen Person und deren Leistung herangezogen werden.