Heiter bis wolkig – Psychische Erkrankungen im Studium
Aus dem stillen Kämmerlein direkt hinein ins allgemeine Bewusstsein – psychische Erkrankungen bei Studierenden sind weit verbreitet und dürfen nicht länger tabuisiert werden! Ein Plädoyer für mehr Normalität im Umgang mit die Psyche betreffenden Problemen und Diagnosen.
Fast jeder Studierende kennt sie – Durchhänger, in denen man sich zu überhaupt nichts aufraffen kann. Der Berg an Lernstoff, Prüfungen und Abgaben scheint unüberwindbar. Selbst das morgendliche Aufstehen wird zur Mammutaufgabe, die an manchen Tagen nicht mehr zu bewältigen ist. Die Gedanken sind wie von trüben Wolken verhangen, stetige Selbstzweifel und -vorwürfe nagen an den Energiereserven.
Meistens kann man diese dunklen Phasen mithilfe von lieben Menschen und ein wenig Ablenkung hinter sich lassen. Infolge der gänzlich anderen Lebensumstände, mit denen Studierende im letzten Jahr zu kämpfen hatten, insbesondere der reduzierten Kontakte zu Kommiliton:innen und der erschwerten Lernbedingungen durch die Onlinelehre, fielen jedoch gewohnte Abwehrmechanismen gegen Stress und Leistungsdruck weg. Nach einer Studie der Universität Würzburg erleben oder erwarten ganze 57% der befragten Studierenden infolge der Coronakrise negative oder sogar sehr negative Auswirkungen auf ihre psychische Befindlichkeit.¹ Unter Beachtung der Tatsache, dass bereits vor der Pandemie 17% aller Studierender eine psychische Erkrankung diagnostiziert bekamen, tut sich hier das Ausmaß der zu erwartenden Entwicklungen hin zu einem deutlichen Anstieg psychischer Probleme auf.² Besonders Depressionen sind zunehmend verbreitet, aber auch mit beispielsweise Angststörungen oder Panikattacken sehen sich immer mehr Studierende konfrontiert.
Trotz der weitverbreiteten Betroffenheit sind psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft immer noch ein mit vielen Tabus behaftetes Thema. Betroffene werden vor dem Hintergrund der allgemeinen Leistungserwartung schnell abgeurteilt und als Außenseiter abgestempelt, anstatt sich ihrer Bedürfnisse anzunehmen. So kommt es, dass sich viele aus Angst vor den Reaktionen des Umfelds auch dann keine Hilfe suchen, wenn sie selbst merken, dass etwas nicht in Ordnung ist. Oft spielt auch Scham eine Rolle, zum einen beim Gedanken, jemand Fremden seine innersten Gedanken anzuvertrauen, zum anderen aber auch vor sich selbst. Schließlich gesteht sich niemand gerne ein, den eigenen – bei genauerer Betrachtung meist ziemlich überzogenen – Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Wir wollen im Alltag glänzen, im Studium gute Zensuren erreichen, alle Rollen perfekt ausfüllen, die wir jeden Tag erfüllen müssen. Psychische Probleme höhlen dieses Bild von uns selbst aus, zusätzlich zur Belastung, weiterhin funktionieren zu müssen, damit etwa die Regelstudienzeit eingehalten oder der Nebenjob weiter ausgeführt werden kann.
Es ist jedoch keine Schande, sich Hilfe zu suchen. Das ist auch schon legitim, wenn die Belastung vielleicht noch nicht unerträglich geworden ist. Um einen ersten Schritt im Schutze der Anonymität gehen zu können, werden beispielsweise Telefonhotlines oder Notfallchats angeboten. Zudem verfügen viele Universitäten über eine psychologische Beratungsstelle, an die sich Studierende kostenfrei wenden können. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Krankenkasse, die Kassenärztliche Vereinigung vor Ort oder die Hausärztin des Vertrauens um Hilfe zu bitten, denn diese können ein Erstgespräch zur Psychotherapie vermitteln. Hat man schon eine Therapeut:in der Wahl ins Auge gefasst, kann man aber auch einfach selbst nach freien Therapieplätzen fragen.
Geht man jedoch den Schritt und holt sich die benötigte Hilfe, sind noch lange nicht alle Probleme gelöst. Viele Betroffene erfahren mit der Diagnose ein Gefühl der Isolation und Einsamkeit, das aus dem weitverbreiteten Verschweigen psychischer Erkrankungen aus oben genannten Gründen resultiert. Es macht sich der Gedanke breit, mit dieser neuen Situation ganz alleine dazustehen, aus der Norm zu fallen, nicht „normal“ zu sein. Dabei geht es zahlreichen Menschen ähnlich und psychische Probleme sind längst keine Randerscheinung mehr, sondern still und leise in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Nun ist es wichtig, eine Sensibilität dafür herzustellen und Depressionen, Zwangsstörungen und Co. aus der Tabu-Ecke heraus und mitten hinein in die allgemeine Wahrnehmung zu befördern. Psychische Erkrankungen sollten nicht länger als persönliches Scheitern stigmatisiert, sondern als Teil des Menschseins anerkannt und mit der entsprechenden Aufmerksamkeit bedacht werden. Nur dann werden Betroffene in Zukunft uneingeschränkt den Rückhalt erfahren, den sie in der sowieso schon belastenden Situation benötigen.
¹ https://www.uni-wuerzburg.de/aktuelles/einblick/single/news/studieren-in-coronazeiten/
² https://www.barmer.de/presse/infothek/studien-und-reports/arztreporte/barmer-arztreport-2018-144304