Elternschaft in Regenbogenfamilien

Carla Bernd · 

Eltern sollen auch Eltern sein dürfen? - Ja, sagen das OLG Celle und das KG Berlin. Warum diese Gerichte meinen, das deutsche Abstammungsrecht sei verfassungswidrig und weitere Informationen zur Elternschaft in Regenbogenfamilien findet ihr in diesem Beitrag.

Gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern werden in Deutschland gerne als „Regenbogenfamilie“ bezeichnet. Genaue Zahlen, die beziffern könnten, wie viele dieser Familien in Deutschland leben, sind schwer zu ermitteln. Laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes lebten 2016 knapp 14.000 Kinder in einer solchen Regenbogenfamilie. Dies betrifft etwa 0,07% aller ledigen in Deutschland lebenden Kinder.[1] Die Regenbogenfamilie stellt also eine relativ seltene, aber sehr vielfältige Familienform dar. So umfasst sie etwa Adoptiv- und Pflegefamilien, sowie Familien, deren Kinder aus einer heterosexuellen Partnerschaft stammen. Genauso kann das Kind auch mittels Insemination (künstliche Übertragung von Samen) in die Familie geboren werden.

Die Öffnung der Ehe für alle im Jahr 2017 war ein großer Schritt für die Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Paare, insbesondere auch im Bereich der Familiengründung. Nun können homosexuelle Ehepaare gemeinsam fremde Kinder adoptieren. Zuvor mussten dies die Ehepartner nacheinander machen. Es gibt allerdings immer noch große Nachteile für Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht. Nach der gegenwärtigen Rechtslage kann beispielsweise nur eine Frau nach der Geburt als rechtlicher Elternteil zugeordnet werden. Als Mutter im Rechtssinne wird gem.§ 1591 BGB diejenige Frau angesehen, die das Kind geboren hat. § 1592 BGB regelt ausdrücklich nur die Vaterschaft des Mannes, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, die Vaterschaft anerkennt oder als Vater gerichtlich festgestellt wurde. Die Zuordnung einer weiteren, gleichgeschlechtlichen Person, hier einer Frau, ist dagegen nicht vorgesehen. Bei einer Insemination hat das Kind damit nur einen rechtlichen Elternteil. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Daher könne § 1592 BGB auch nicht analog angewendet werden.[2] Somit bleibt nach dem aktuellen Abstammungsrecht nur die Möglichkeit der Adoption (sog. Stiefkindadoption), um eine bestehende Eltern-Kind-Beziehung mit der „sozialen Mutter“ rechtlich abzusichern.

Zufriedenstellend ist diese Lösung über die Stiefkindadoption jedoch nicht wirklich. Eine Adoption nimmt nicht nur viel Zeit und Geld in Anspruch, sie begründet auch staatliche Interventionsmöglichkeiten, etwa durch eine Kindeswohlprüfung. Außerdem ist sie je nach Konstellation wenig nachvollziehbar. Dies gilt insbesondere bei der reziproken Eizellenspende in gleichgeschlechtlichen weiblichen Beziehungen. Hier ist die Ehefrau der Geburtsmutter die genetische Mutter des Kindes, weil ihre Eizelle für die Zeugung des Kindes genutzt wird (in anderen europäischen Ländern ist dies erlaubt). Daher muss sie auf der Grundlage des deutschen Rechts nach der Geburt ihr genetisch eigenes Kind adoptieren.[3]

Bei gleichgeschlechtlichen männlichen Paaren ergibt sich ein ähnliches Problem. Wenn sie ein Kind bekommen wollen, das biologisch von einem der Ehepartner abstammt, können sie mit Hilfe einer sogenannten Leihmutter Eltern werden. In diesen Fällen wird dem Kind bei der Geburt nur ein gesetzlicher Elternteil zugeordnet: der biologische Vater. Der andere Ehepartner muss dann (genauso wie bei lesbischen Paaren) das Kind adoptieren. Die Leihmutterschaft ist in Deutschland jedoch grundsätzlich untersagt (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 Embryonenschutzgesetz, § 13 c Adoptionsvermittlungsgesetz).

Demgegenüber sahen kürzlich sowohl das Kammergericht Berlin[4] als auch das OLG Celle[5] zwei verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte, die gegen eine Vereinbarkeit des aktuellen Abstammungsrechts (genauer: § 1592 Nr. 1 BGB) mit dem deutschen Grundgesetz sprechen könnten. Beide Gerichten bejahen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Die Anknüpfung an das Geschlecht stelle eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 GG dar. Bei verschiedengeschlechtlichen Ehepaaren, die mithilfe von medizinischer Assistenz Eltern werden, bestehe die Elternschaft schon im Zeitpunkt der Geburt. Genau das werde gleichgeschlechtlichen Paaren verwehrt. Außerdem greife das Gesetz durch die Vorenthaltung der rechtlichen Elternstellung in das Elterngrundrecht gem. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG der sozialen – und eventuell sogar genetischen – Eltern ein. Dieses Grundrecht gewährt, so die Gerichte, neben den rechtlichen Eltern auch dem genetischen nicht-rechtlichen Vater des Kindes aufgrund der Vermutungsregelung des § 1592 Nr. 1 BGB weitreichende elterliche Rechte und Pflichten.[6]  Das OLG Celle schloss sich der Meinung an, dass dieses Recht auch auf das soziale Elternteil erstreckt werden müsse. Die Elternschaft sei demnach im verfassungsrechtlichen Verständnis nicht genetisch oder biologisch zu bestimmen, sondern sollte als umfassende Verantwortungsbeziehung verstanden werden.[7] Das OLG Celle hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wenn es um die Elternschaft in Regenbogenfamilien geht, besteht somit noch ein großer Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers. Eine Möglichkeit, das geltende Abstammungsrecht anzupassen, wäre eine geschlechtsneutrale Formulierung. Neben gleichgeschlechtlichen Paaren würde so auch den trans- und intersexuellen Personen die Anerkennung der rechtlichen Elternschaft leichter gemacht. In der jetzigen Rechtslage müssen dort immer Umwege über – rechtlich unsichere – Analogien genommen werden. Die verfassungsrechtliche Bedeutung des Abstammungsrechts ist unverkennbar. Gesichtspunkte wie „Abstammung“ und „Familienzugehörigkeit“ haben dabei nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine emotionale Komponente. Auch wenn die Zahl der Regenbogenfamilien in Deutschland noch vergleichbar niedrig ist, so ist Elternschaft doch ein Grundrecht, das allen gewährt werden sollte.

 

[1] Statistisches Bundesamt 2017, S. 140.

[2] BGH NJW 2019, 153; näher dazu: Chebout/Xylander: Das eheliche Kind und sein zweiter rechtlicher Elternteil, NJW 2021, 2472, Rn 3.

[3] näher dazu: Chebout/Xylander (Fn. 2), NJW 2021, 2472, Rn. 5 ff..

[4] KG Berlin NJOZ 2021, 840.

[5] OLG Celle NZFam 2021, 352, mit Anm. von Löhnig.

[6] näher dazu: Chebout/Xylander (Fn. 2), NJW 2021, 2472, Rn. 32 ff..

[7] näher dazu: OLG Celle NZFam 2021, 352, 361 ff.