Digitale Lehre 2.0

Tim Schneider · 
Man sieht einen weißen Kreis in einem grünen Hintergrund. In dem weißen Kreis ist eine graphische Darstellung eines Laptops neben einem bunten Stapel Bücher und einer weißen Tasse. Auf dem Bildschirm ist eine Frau inklusive ein paar Textfeldern zu sehen.

Die Coronakrise hat die Hochschulen vor die Herausforderung gestellt, über Nacht digitale Konzepte zur Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs zu entwickeln. Die plötzliche Transformation des Präsenzunterrichtes hin zu virtuellen Lehrveranstaltungen kann dabei insgesamt als Erfolg angesehen werden. So empfand Umfragen zufolge die Mehrzahl der Lehrenden und Studierenden die Darbietung von Vorlesungen in digitaler Form als besser oder zumindest gleichwertig zum klassischen Format des Präsenzstudiums.[1] Daher überrascht es nicht, dass auch nach dem Ende des pandemiebedingten Ausnahmezustandes die digitale Lehre weiterentwickelt und vielerorts als zusätzliche Alternative zu Präsenzveranstaltungen angeboten wird. Welche neuen digitalen Lehrmöglichkeiten seit der Pandemie hervorgebracht wurden und welche Vorteile digitale Lerninhalte bereithalten, will dieser Beitrag näher erläutern.

I. Neue Lehrkonzepte:

Der Digitalisierungsaufschwung der Corona-Krise hat insbesondere zu einer rasanten Weiterentwicklung der Videokonferenztechnologie geführt.[2] Die neuen Möglichkeiten von Konferenzsystemen gehen dabei mittlerweile weit über den bloßen Gedankenaustausch zwischen zwei oder mehreren Personen im Wege der Videotelefonie hinaus. Vorbei sind daher die Zeiten, in denen die Videotechnik lediglich dazu genutzt werden kann, die physische Lehrveranstaltung an einen anderen Ort als den Hörsaal zu übertragen. Neue Entwicklungskonzepte knüpfen dabei insbesondere direkt an die bestehenden Nachteile der virtuellen Lehre an. So betraf einer der größten Kritikpunkte von digitalen Lehrveranstaltungen während der Pandemie-Zeit die mangelnde Möglichkeit des sozialen Austauschs zwischen den Studierenden.[3] Um diesem entgegenzuwirken, haben viele Anbieter Features geschaffen, die den persönlichen Austausch auch aus der Distanz heraus erlauben. Eine solche Möglichkeit bieten etwa Konferenz-Tools, die eine Zusammenkunft mittels individuell erstellten Avataren erschaffen.[4] Bei diesen Tools erstellen die Nutzer zunächst einen persönlich individualisierten Avatar. Diese Avatare können sich dann in einem virtuellen Raum frei bewegen. Beim Zusammentreffen mit dem Avatar eines anderen Nutzers besteht sodann die Möglichkeit, mit diesem eine persönliche Kommunikation zu beginnen. Auf diese Weise kann der Gefahr sozialer Isolation während des Distanzunterrichts entgegengewirkt und ein dem Präsenzstudium vergleichbares Erlebnis simuliert werden.

Ein weiteres Konzept zur Abhaltung digitaler Lehrveranstaltungen bietet der Einsatz von Virtual-Reality-Technologie (VR). Die Anwendung dieser Technik ermöglicht eine dreidimensionale Betrachtung der Konferenz-Teilnehmer sowie des Lehrstoffs in einem virtuellen Besprechungsraum.[5] Hierdurch kann zum einen für die Studierenden ein sehr immersives Vorlesungserlebnis erzeugt werden, das nah an das Studium in physischer Präsenz heranreicht. Zum anderen bietet die Technologie insbesondere für Studiengänge, die ein gesteigertes Maß an praktischen Lerneinheiten beinhalten, neue Chancen, diese auch aus der Distanz zu erfahren. So eröffnet der VR-Einsatz etwa in der medizinischen Ausbildung die Möglichkeit Operationssimulationen durchzuführen, wodurch die praktischen operativen Fertigkeiten der Studierenden schon früh im Studium gefördert werden können.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die neuen Entwicklungskonzepte darauf abzielen, digitale Lernerfahrungen für die Studierende insgesamt interaktiver und immersiver zu gestalten.

 

II. Vorteile:

Wie gesehen, zielen viele Lernkonzepte darauf ab, die physische Welt in einen immersiven virtuellen Raum zu übertragen. Es stellt sich daher die Frage, warum die digitale Lehre insgesamt weiterentwickelt und als Alternative zum tatsächlichen Treffen vor Ort angeboten werden sollte. Daher werden im Folgenden die Vorteile der virtuellen Lehre näher betrachtet.

Ein besonders gewichtiger Vorteil ist der Effizienzgewinn, den digitale Lernkonzepte mit sich bringen. Das Zugreifen auf virtuelle Lehrinhalte ist grundsätzlich jederzeit und von jedem beliebigen Ort aus möglich. Insbesondere für Studierende, die nicht in unmittelbarer Nähe ihrer Lehreinrichtung beheimatet sind, entfällt daher die unter Umständen zeitintensive An- und Abreise zum Vorlesungsort.

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil des digitalen Angebots von Lehrveranstaltungen ist die Möglichkeit einer barrierefreien Darstellung des Lerninhalts. So gelten etwa 0,4 Prozent der in Deutschland lebenden Gesamtbevölkerung als sehbehindert.[6] Unter Zuhilfenahme spezieller Programme kann für diese Personengruppe der relevante Lehrstoff in verständlicher Form aufbereitet werden. So beinhalten die meisten Browser etwa bereits von Werk aus eine Zoom-Funktion, die es ermöglicht, Bildschirminhalte gezielt in vergrößerter Form wiederzugeben und hierdurch für sehbehinderte Menschen anschaulicher zu machen. Aber auch bei stark eingeschränkter Sehkraft oder völliger Blindheit können IT-Tools Abhilfe schaffen. Der Einsatz von Screenreadern ermöglicht es, den Bildschirminhalt in Sprache oder in der Blindenschrift Braille wiederzugeben. Hierdurch kann einer sehgeschädigten Person ein ansonsten nicht zugänglicher Lernstoff verständlich vermittelt werden. Weiterhin muss beachtet werden, dass fast ein Fünftel der in Deutschland lebenden Personen über 14 Jahren als hörbeeinträchtigt eingestuft werden kann.[7] Auch für diese Personengruppe bietet die Technik Verständnishilfen. Zum einen kann über den in den allermeisten technischen Endgeräten verbauten Lautstärkeregler das während einer Vorlesung gesprochene Wort akustisch verstärkt werden. Dies kann bei vielen leicht hörgeschädigten Personen bereits zu einem besseren Verständnis beitragen. Für weiterreichende Hörbeeinträchtigungen bieten viele der in digitalen Vorlesungen eingesetzten Konferenzprogramme die Möglichkeit, während der Konferenz Live-Untertitel zu generieren.[8] Problematisch ist bei all diesen Tools jedoch, dass der Vorlesungsinhalt durch ein technisches Medium gefiltert wird. Es muss daher stets darauf geachtet werden, dass die Untertitel den Vorlesungsinhalt korrekt wiedergeben und ein Screenreader den Bildschirminhalt vollständig vorliest. Ansonsten droht eine Verzerrung des Lehrstoffes, was unter Umständen zu einem falschen Verständnis des Lerninhaltes bei den Studierenden führen kann. Insgesamt kann jedoch gesagt werden, dass die digitale Präsentation des Unterrichtsgegenstandes gerade für Menschen mit Behinderung ein enormes Potenzial bereitstellt, um zu einer besseren Vermittlung des Lehrstoffes beizutragen.

 

III. Fazit:

Die digitale Lehre bietet viele Anknüpfungspunkte, die zu einem besseren Verständnis des Lernstoffes für viele Studierende beitragen können. Aktuelle Entwicklungen zielen dabei insbesondere darauf ab, bestehende Nachteile virtueller Vorlesungen abzubauen und die Vorteile, die der Technikeinsatz insgesamt mit sich bringt, weiter auszubauen. Auch nach Beendigung des pandemiebedingten Ausnahmezustandes kann daher die Weiterentwicklung der digitalen Lehre einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung der universitären Ausbildung leisten.

 

 

 

[1] Statista Research Department, Corona-Krise: Bewertung digital. Lehre an Hochschulen nach Hochschulangehörigkeit '20, Statista 05.05.2023, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1238201/umfrage/corona-krise-digitale-lehre-an-hochschulen-nach-hochschulangehoerigkeit/ (zuletzt abgerufen am 20.12.2023).

[2] Prognosen zufolge soll sich das Marktvolumen für Videokonferenzen bis 2027 gegenüber der Vorpandemiezeit verdoppeln, Statista Research Department, Videokonferenz-Marktvolumen weltweit im Jahr 2019 und Prognose für das Jahr 2027, 15.02.2022, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1225334/umfrage/videokonferenz-marktvolumen-weltweit/ (zuletzt aufgerufen am 19.11.2023).

[3] Statista Research Department, Corona-Krise: Umfrage zu den größten Herausforderungen für Studierende 2020, Statista 05.05.2023, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1238192/umfrage/corona-krise-groesste-herausforderungen-fuer-studierende/ (zuletzt abgerufen am 20.12.2023).

[4] Vergleiche hierzu und zum Folgenden etwa das Konferenztool “Gather”, das einen persönlichen Austausch untereinander durch Erstellen individueller Avatare in einem virtuellen Raum ermöglicht, https://support.gather.town/hc/en-us/articles/15910013784852-Customize-Your-Avatar (zuletzt abgerufen am 20.12.2023).

[5] Siehe hierzu und zum Folgenden Speidel/Felder/Schneider/Öchsner, Virtual Reality gegen Zoom-Fatigue? Eine Feldstudie zur Lehr- und Lernerfahrung in interaktiven Video- und VR-Konferenzen, GMS Journal for Medical Education 2023, 40(2), https://www.egms.de/static/de/journals/zma/2023-40/zma001601.shtml (zuletzt abgerufen am 11.12.2023).

[6] Boksch, Über 70.000 Deutsche sind blind, Statista 07.01.2022, https://de.statista.com/infografik/26541/anzahl-der-sehbehinderten-in-deutschland/#:~:text=Damit%20gelten%20etwa%200%2C4,Louis%20Braille%20die%20sogenannte%20Brailleschrift (zuletzt abgerufen am 20.12.2023).

[7] Statistische Übersicht des Deutschen Schwerhörigenbunds, https://www.schwerhoerigen-netz.de/statistiken/?L=0 (zuletzt abgerufen am 20.12.2023).

[8] Für einen Überblick siehe Kröger, Live-Untertitel in Video-Meetings, 2021, Blog IT-Serice.Network, https://it-service.network/blog/2021/07/21/live-untertitel/ (zuletzt abgerufen am 20.12.2023).